Demos am Kornmarkt und in Gostenhof

1. Mai-Demos in Nürnberg: Für Frieden und gegen Wild-West-Kapitalismus

Irini Paul

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1.5.2022, 15:30 Uhr
"In Bayern sind nur noch 25 Prozent der Betriebe tarifgebunden", kritisierte der mittelfränkische DGB-Chef Stephan Doll bei der Veranstaltung auf dem Kornmarkt.

© Eduard Weigert "In Bayern sind nur noch 25 Prozent der Betriebe tarifgebunden", kritisierte der mittelfränkische DGB-Chef Stephan Doll bei der Veranstaltung auf dem Kornmarkt.

Die Themenliste ist lang, sehr lang: Krieg in Europa, Corona-Pandemie, Niedriglohn und Mindestlohn, Rentenpolitik, Tarifflucht, Tariftreue- und Vergabegesetz, Demokratie und Solidarität. Vieles liegt im Argen, umso rhetorisch engagierter und betont kämpferisch gibt sich denn auch der neue Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Bayern Bernhard Stiedl.

Als Hauptredner der 1.-Mai-Kundgebung des DGB zum Tag der Arbeit auf dem Kornmarkt, bei dem auch zahlreiche Verbände, Organisationen, Gewerkschaften und Parteien vertreten sind, zeichnet er ein düsteres Bild von der Realität nicht weniger Menschen im Freistaat und in Deutschland.

Niedriglöhne, Leiharbeit und Werkverträge

"Allein in Bayern sind rund 1 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor gefangen", ruft er in die friedliche Menge vor der Bühne. Niedriglöhne, Leiharbeit und Werkverträge seien keine Merkmale einer modernen Wirtschaft. "Sie sind ein sozialpolitischer Skandal", so Stiedl weiter. Bundesweit arbeite jeder 4. Beschäftigte noch für Löhne unterhalb der Armutsschwelle.

Demonstrierende am 1. Mai auf dem Kornmarkt.

Demonstrierende am 1. Mai auf dem Kornmarkt. © Eduard Weigert, NNZ

Auch sei es ein Skandal der modernen Arbeitswelt, dass sich viele Unternehmen durch die Tarifflucht bereicherten und ihre Beschäftigten dadurch ausbeuten würden. Ein Problem, auf das auch der mittelfränkische DGB-Chef Stephan Doll in seiner nicht weniger kämpferischen Rede aufmerksam macht. "In Bayern sind nur noch 25 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Das bedeutet, in dreiviertel aller Betriebe herrscht quasi der Wilde Westen."

"Wertschätzung vor Wertschöpfung"

Bayern sei zudem das einzige Bundesland ohne Vergabegesetz, somit oft nur der günstigste Anbieter öffentliche Aufträge erhalte, was nichts anderes sei als "Lohndumping mit unseren Steuergeldern". Kommunale Vergabeordnungen seien ein erster Schritt in die richtige Richtung. An die Adresse von OB Marcus König äußerte er die Hoffnung, dass Nürnberg bis Ende des Jahres die erste Stadt mit kommunaler Vergabeordnungen sein könnte. Der wiederum sprach in seinen Grußworten davon, dass "Wertschätzung vor der Wertschöpfung" kommen müsse.

"Die Politik ist aufgefordert, zu handeln", so Doll. Und das auf vielen Feldern. Die Erbschaftssteuer solle erhöht, die Vermögensteuer endlich eingeführt und Kapitalerträge höher besteuert werden. Immer wieder fallen die Worte von Solidarität, sozialer Gerechtigkeit und Armut.

Ungleichbehandlung von Frauen und Männern

Laura Weghorn von der DGB-Jugend Mittelfranken hat einen Blick für die jungen Beschäftigten und erläutert, welche Folgen die Pandemie auch auf Auszubildende hatte. "Sie wurden oft als billige Arbeitskräfte missbraucht, während die Ausbildungssituation schlecht war." Eine Folge sei unter anderem gewesen, dass die Bewerberzahl um eine Ausbildung um knapp neun Prozent gesunken sei. Bliebe die Bezahlung, die es in ihren Augen vielen Azubis schier unmöglich mache, eine vernünftige Wohnung zu finden.

Auch die noch bis Mai laufenden Betriebsratswahlen und die nach wie vor herrschende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen in der Berufswelt und im Rentenalter sind an diesem Vormittag zentrale Punkte auf der bayernweit größten Veranstaltung zum 1. Mai.

Am Krieg gegen die Ukraine kommt man zehn Wochen nach dem Angriff auch an diesem Tag nicht vorbei. Immer wieder wird Frieden in der Welt und vor allem das Ende des Krieges gegen die Ukraine beschworen. Es ist eine Veranstaltung, bei der die Redner sich nicht in Befindlichkeiten der Standesvertretung verlieren, sondern eine ganz klare Botschaft senden. "Es geht nur gemeinsam."

Rund 2300 Demonstranten in Gostenhof

In der Bauerngasse trafen sich Demonstranten zu einer weiteren Kundgebung unter dem Motto "Als Klassen kämpfen - Raus zum revolutionären 1. Mai". Anschließend zogen sie durch Teile der Innenstadt und durch Gostenhof.

In der Bauerngasse trafen sich Demonstranten zu einer weiteren Kundgebung unter dem Motto "Als Klassen kämpfen - Raus zum revolutionären 1. Mai". Anschließend zogen sie durch Teile der Innenstadt und durch Gostenhof. © Eduard Weigert, NNZ

Nach Schätzungen der Polizei sind rund 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer dem Aufruf des DGB gefolgt, mit bis zu 5000 haben die Sicherheitsbehörden Ende der vergangenen Woche noch gerechnet. Umgekehrt hat sich das beim Protestzug der "Initiative Neue Arbeiterinnenbewegung" dargestellt: "Hier nahmen rund 2300 Personen teil, wir gingen aber von rund 1000 aus", berichtet Polizeisprecher Michael Petzold. Die "Organisierte Autonomie" hatte in einem Bündnis mit 30 weiteren Organisationen zur Demo unter dem Motto "Als Klasse kämpfen - raus zum revolutionären 1. Mai" aufgerufen und zog durch Teile der Innenstadt und durch Gostenhof.

Verknotete Transparente als Deckung

Allerdings verlief diese Kundgebung nicht so friedlich, wie die auf dem Kornmarkt. "Im Bereich Färberstraße hatten wir das Problem, dass mehrere seitliche Transparente verknotet waren. Das verstößt aber gegen die Auflage", sagt Petzold. Die Polizei ließ den Zug stoppen, weil nach mehrmaliger Aufforderung die Transparente nicht entknotet worden seien. Erst als das erledigt war, durfte es weitergehen. "Man kann bei verknoteten Transparenten, die dann auch hochgehalten werden, nur schwer sehen, was dahinter passiert. Unserer Erfahrung nach, werden aus solchen Deckungen immer wieder mal Gegenstände geworfen", erklärt der Polizeisprecher.

Zwei mal haben Demo-Teilnehmer dann noch Rauchtöpfe gezündet. "Ansonsten verlief bis zum Ende des Protestzugs um 14.30 Uhr die Kundgebung störungsfrei."

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